Tagungsbericht Trier

Bericht und Eindrücke zur Jahrestagung der GASL in Trier (28.-30. September 2007) oder “Die frische Brise” genannt.

Von Rainer Hendricks

Besonders remarkabel scheinen mir diese Eindrücke zu sein: ein harmonisches, nicht überladenes Wochenende mit vielen Eindrücken, Gelegenheiten zum Austausch und einer, sagen wir mal, Aufbruchstimmung bei den Anwesenden Gästen und Mitgliedern der GASL.

Wer es geschafft hatte, sich am Freitag oder Samstag aus der komplexen Verkehrssituation Triers (Uli Schuchs Taxifahrer und Produzent chinesischer Lyrik: “Es gibt keine Beschilderung in Trier”) und den beängstigenden Touristenmassen zu befreien und den Weg hoch zur Katholischen Akademie gefunden hatte, wurde mit einem traumhaften Blick auf eine der ältesten Städte Deutschlands belohnt.

Die Mitgliederversammlung war naturgemäß geringer besucht als die Vorträge und die Exkursion nach Kastel. Die Aussprache fand gleich zu den jeweiligen Punkten der Tagesordnung statt, so daß während der gut zwei Stunden immer wieder ein Dialog zustande kam. Zu den Ergebnissen gleich mehr in Verbindung mit der “Zukunftsdiskussion” am Samstag.

Zu den großen Publikumsmagneten zählten die beiden Abendessen. Beim Griechen am Freitag herrschte bald große Erschöpfung, weil Küche und Kellner mit unserer “Riesengruppe” an vier großen Tischen schier überfordert war. Soweit ich es überblicken konnte, wurden in allen Tischgruppen lebhafte Gespräche geführt. Mit fortschreitendem Abend wurde dann die Wiederbeschaffungszeit der Getränke erfreulich kurz…
Am Samstag Abend trafen wir uns in der ersten Etage des traditionsreichen Christofel, gleich unmittelbar neben der Porta Nigra. Wie am Vorabend auch, rückten die Tischgruppen zu fortgeschrittener Stunde weiter zusammen. Auch hier konnte ich eine lebhafte und friedliche Stimmung ausmachen.

Zu beinahe nachtschlafender Zeit begann Josef Huerkamp am Samstag Morgen um neun seinen Vortrag über Arno Schmidt in Kastel: Der Landschafter auf der Höhe. Mit Belegen aus Schmidts Werk, Auszüge aus Briefen und sonstigen Äußerungen des Autors zeigte Huerkamp, daß wir das gewohnte Bild des “Heide-Schriftstellers” mit der Vorliebe für flache Landschaften wohl etwas korrigieren müssen. Überraschend, aber um so interessanter für die Teilnehmer, ging Huerkamp mehr auf die Entstehung der unvollendeten FEUERSTELLUNG ein als auf die Niederschrift des STEINERNEN HERZEN. Die Dichte des Vortrags wurde durch etwa 40 Abbildungen mit Kartenausschnitten und Fotos angenehm illustriert.

Seine Eindrücke einer erneuten Lektüre von ZETTEL’S TRAUM trug Dietmar Noering in einer Art “akustischen Essays” vor: Daniel Pagenstecher, Schriftsteller. “Wer in diesem Hause ich sagt, täuscht sich.” Wie sagte Noering? – “Der launige Essay sollte dazu dienen, den Zuhörern die Begegnung mit ZT schmackhaft zu machen. Daniel Pagenstecher ist kein Theoriekonstrukt, sondern eine Figur aus Fleisch und Blut. Und das gilt auch für seine Mitstreiter. Sonst wäre ZT nämlich völlig unlesbar. Das ist es aber nicht. Daniel Pagenstecher war über viele Jahre der wichtigste Gesprächspartner Arno Schmidts. Während Schmidt ihn erfand, usurpierte er die Persönlichkeit und die Schriftstellerexistenz Schmidts. So waren sie am Ende sicherlich nicht identisch. Aber Brüder im Geiste.”
Alle, die an diesem Morgen nicht dabei waren, müssen sich nun bis zum übernächsten Zettelkasten gedulden, denn Noering hat aufgezeigt, welche Bedeutung die folgende kurze Passage aus ZT für die Ländliche Erzählung SCHWÄNZE hat:

ZT 941 mu: “Mein Blick fällt auf ne story von der Margaret Kennedy ‘Portrait of a cat’ – (’hatt’ se,(’gut), 17=18 Jahre nich mehr in der Hand gehabt; Mein Wort drauf !)”

Zur Einführung auf die Exkursion am Nachmittag zeigte Josef Huerkamp noch einige Bilder und Übersichtskarten zu Kastel. Fotos der Familien und Häuser von Kees und März stimmten uns ein in die Zeit der Schmidts in Kastel sowie die Sehenswürdigkeiten des Ortes und Ziele von Spaziergängen des Schriftstellerpaares. Zur Orientierung bei Vortrag und Exkursion erhielten die Teilnehmer ein Faltblatt mit einer beschrifteten Karte aus den 1950er Jahren.

Um 14.00 Uhr startete unsere Exkursion nach Kastel. Der Bus quälte sich durch die verstopften Straßen Triers, gewann Fahrt und erreichte in einem Bogen Kastel aus Südwesten. Während der Fahrt durch die Serpentinen wurden manche Passagen aus Alice Schmidts Tagebuch sehr eindrucksvoll illustriert. Eine Annäherung an Kastel über Krutweiler, wie sie die Geschützgruppe in der FEUERSTELLUNG bewältigt, wäre allenfalls in einem kleinen Allradfahrzeug möglich gewesen. Wir stiegen aus, der Bus wendete kompliziert und wartete an der Kirche auf uns.

In kleinen Gruppen wurden folgende Punkte im Ort besucht: Hof Johann Neises mit der Wohnung Schmidts von 12/1951 bis 09/1955; Tischlerei Konter (von Schmidt gewünschtes “Atelier”); Post: Kees; die Schinkelsche Schule (”ebbes Weißes”); die “Tankstelle” im Ort; Gaststätte Klein (”Unterkunft der Artilleristen”); ehemaliger Standort von Rommelfanger (Gaststätte “Zur Klause”); Kirche und Pfarrhaus; die Grotte (”Ärgerlich, befremdlich, abwehrend”); der Ferlfels (”Der Eckfelsenplatz”); das Felsentor; Laden März.
Einige von uns besuchten die Klause, die meisten den Aussichtspunkt nach Serrig beim großen Steinkreuz am Ehrenfriedhof. Der Berichterstatter ließ es sich nicht nehmen, in bester Stoffhubermanier die Gräberliste durchzublättern – um einen hier bestatteten Angehörigen einer Artilleriebatterie zu finden: Wachtmeister Fritz Pape. Was naturgemäß alles und auch nichts sagt.

Wegen der niedergegangenen Wolkenbrüche am Vortag und der fehlenden Zeit war es niemanden möglich, den etwa dreistündigen Felsenweg zu absolvieren. Im Gasthof “Zur Klause” gab es Kaffee satt und viel gelobte Torten. Im Gastraum mit dem großen Panoramafenster Richtung Serrig/Saarburg las Dietmar Noering Arno Schmidts Erzählung SCHLÜSSELTAUSCH. Ganz besonders aufmerksam verfolgte die Wirtin diese kurze Lesung. Ich hatte den Eindruck, sie hat zum ersten Mal einen Text von dem Autor gehört, den sie damals als Jugendliche im Ort gesehen hatte.

Der frühe Sonntag Morgen startete mit einem Vortrag von Matthias Schleifer. Unter dem Titel “Habt ihr euren Gehirn bei eBay versteigert?” gab er Einblicke in eine Art Tagebuch eines passiven Teilnehmers der Arno Schmidt Mailing List (ASML). Wohlwollend, in einer präzisen Sprache und nicht ohne Augenzwinkern schilderte er die Vorzüge, Gefahren und den teils befremdlichen Umgangston dieses Internetmediums. Ganz beiläufig entführte er die Zuhörer in die Tiefen und Untiefen der Schmidt-Philologie um dann schwungvoll wieder bei seinem Ausgangsthema zu landen. Insgesamt eine vielversprechende Vortragspremiere.

Wer bei Rudi Schweikert: Oberfläche und Untergrund. Arno Schmidts “Die Schule der Atheisten” lesen eine Deutschdoppelstunde erwartet hatte, wurde enttäuscht. Rudi Schweikert entführte seine Zuhörer in die Möglichkeiten und Grenzen, von Schmidt verwendete Textzitate in digitalen Bibliotheken wiederzufinden. In einigen Fällen konnte Rudi Schweikert auch die von Schmidt verwendeten Techniken (”Wurmisieren”) aufzeigen. Tatsächlich gelesen wurden knapp zwei Seiten aus Schmidts SCHULE, dann war die Tagung auch schon zu Ende gegangen.

Bis zum Ende der Tagung war auch eine Lösung zu einigen Engpässen in der Vereinsarbeit gefunden: zwei Damen werden die zukünftige Pflege der Homepage übernehmen und zwei Herren werden als Korrektoren die festgefahrene Arbeit bei der Schriftleitung (Zettelkästen Görlitz und Darmstadt sowie ein Schauerfeld) unterstützen.

Während der Mitgliederversammlung wurden die in den letzten Jahren aufgetretenen Probleme, die sich in letzter Zeit noch verdichtet hatten, in sehr offener und konstruktiver Weise vorgetragen. Dietmar Noering fand dafür den sehr treffenden Begriff der “Professionalisierungsfalle” in die auch der Vorstand getappt sei. Fazit war insgesamt, daß nur neuer Schwung in die GASL gebracht werden könne, wenn die Mitarbeit wieder Spaß mache und die Belastung für die Beteiligten wieder überschaubar gemacht werden könne. Im Detail wurden die Schwierigkeiten zum ersten Mal einem breiteren Publikum dargelegt. Aus dieser “Betroffenheit” konnte dann über die Diskussion am Samstag auch eine Lösung in den Bereichen Internet und Schriftenleitung gefunden werden. Insgesamt konnte aber festgestellt werden, daß die GASL weder unter einem Mitgliederschwund noch an einer “Überalterung” leidet. Unter den Tagungsteilnehmern findet sich alljährlich ein Teil Mitglieder, den anderen Teil bildet ein fester Anteil sowie ein wechselnder Teil von willkommenen Gästen. Die Darlegung der Situation führte sehr schnell in Lösungsansätze und den Blick in zukünftige Aktivitäten. Ab 2009 sollen einige GASL Tagungen unter ein Thema gestellt und auch wieder Texte von Schmidt gelesen werden.

Die nächste Tagung findet Anfang Oktober 2008 in Northeim (Niedersachsen) statt. Die Organisation übernimmt Hartmut Fischer. Seine Vorschläge hatten seinerzeit im Vorstand und auch jetzt bei den Teilnehmern in Trier spontane Zustimmung gefunden. Northeim liegt unweit von Göttingen an der A7 und ist auch mit der Bahn per IC zu erreichen. Der Veranstaltungsort, die Hotels und Lokale sind alle zu Fuß bequem zu erreichen. Thematisch und von den Personen wird es auch Begegnungen mit der Heinrich-Albert-Oppermann Gesellschaft, der Johann-Gottfried-Schnabel Gesellschaft und der Wezel-Gesellschaft geben. Die Samstags-Exkursion wird voraussichtlich nach Stolberg im Harz (Schnabel) und nach Sondershausen (Wezel) führen. Im “Theater der Nacht” ist dann eine Vorstellung der “Regentrude” von Theodor Storm als Puppentheater im Angebot.

Bleibt jetzt zu hoffen, daß sich der Publikationsstau rasch löst und zur Jahreswende der Zettelkasten mit den Vorträgen aus Görlitz und dann im 1. Quartal der Zettelkasten aus der Tagung in Darmstadt erscheint.

Die GASL in Trier prägt sich ein als ein Wochenende in konstruktiver, in die Zukunft gerichtete Harmonie. Auf eine Wiederbegegnung mit den Vortragsinhalten als Aufsätze im Zettelkasten dürfen wir in nächster Zukunft gespannt sein.

Soweit meine persönlichen Eindrücke. Wohlmeinende Anregungen, Korrekturen und Ergänzungen sind gerne willkommen.