Vita Arno Schmidt
Dieser kursorische Lebensabriss Arno Schmidts stützt sich auf folgende Quellen:
- E. Krawehl (Hg.), Porträt einer Klasse. Arno Schmidt zum Gedenken. Frankfurt/M. 1982
- W. Martynkewicz, Arno Schmidt. Reinbek, 3. Aufl. 1997
- Reemtsma/Rauschenbach (Hg.), »Wu Hi?« Arno Schmidt in Görlitz Lauban Greiffenberg. Zürich, 2. Aufl.
- 1991 Schardt/Vollmer (Hg.), Arno Schmidt – Leben – Werk – Wirkung. Reinbek 1990
- Text + Kritik. Heft 20/20a, 4. Aufl.: Neufassung. München 1986 Außerdem steht eine Einführung in Leben und Werk vom GASL-Vorsitzenden Dietmar Noering bereit: Arno Schmidt lesen? : Allerdings!
bis 1919
- 1912
Der Vater Friedrich Otto Schmidt (1883–1928), ein gelernter Glasschleifer und Berufssoldat, ist Polizei-Oberwachtmeister; er heiratet 1912 Clara Gertrud, geb. Ehrentraut (1894–1973). Beider Vorfahren sind schlesische Weber, Gerber und Glasbläser. - 18. Januar 1914
Arno Otto Schmidt wird zwischen 14 und 15 Uhr im Hamburger Stadtteil Hamm, Rumpffsweg 27 (3. Stock) geboren. Arno Schmidt wächst mit seiner Schwester, Luzie Hildegard (1911–1977), in eher kleinbürgerlich-ärmlichen Verhältnissen und (mitbedingt durch starke Kurzsichtigkeit) frühkindlicher Isolation auf.
1920–1929
- ab 1920
Volksschule Pröbenweg. - ab 1924
Realschule Brekelbaumspark. - 1928
Nach dem Tode des Vaters (8. September) Umzug der Familie nach Lauban, der schlesischen Heimatstadt der Mutter.
1930–1939
- 1932
Entstehung erster Gedichte; nicht ausgeführter Opern-Plan mit seinem Schulkameraden Heinz Jerofsky (nach E. Th. A. Hoffmann, Die Bergwerke zu Falun). - 1933
Abitur an der Oberrealschule Görlitz; danach an dortiger Höherer Handelsschule von März bis September mit anschließender kurzer Arbeitslosigkeit. Das von Schmidt für diese Zeit angegebene abgebrochene Astronomie-Studium in Breslau ist fingiert; es existieren keine Belege. - ab 1934
Ab 1934 in den Greiffenberger »Greiff-Werken« tätig; nach kaufmännischer Lehre dort - ab 1937
als graphischer Lagerbuchhalter bis zum - April 1940
angestellt (Textil-Industrie). - 1934, 1935
Arno Schmidt schickt drei seiner Gedichte an Hermann Hesse; ein weiteres an Hermann Stehr. - 1936 / 1937
Beginn der Arbeiten an einer sieben- und zehnstelligen Logarithmentafel (nur auszugsweise veröffentlicht); - bis 1939
mehrmals kürzerer Dienst als Soldat. - 1937
Heirat mit Alice Murawski (1916–1983), einer Angestellten der Greiff-Werke (die Ehe bleibt kinderlos; Nachkommen der Schwester Luzie leben in den USA). Bekanntschaft mit dem dortigen Betriebsorganisator Johannes Schmidt, durch den Arno Schmidt Anregungen u.a. auf astronomisch-mathematischem Gebiet erhält. - 1938
Umzug des Ehepaares nach Greiffenberg; Anfang August einwöchige Reise nach London. - 1939
im Mai Bildungsreise mit seiner Frau, u. a. Besuch des Wieland-Grabes; Schmidts Schwester, inzwischen verheiratete Lucy Kiesler, emigriert mit ihrem jüdischen Ehemann nach New York. Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre entstehen die ersten Prosawerke Schmidts.
1940–1949
- Ab 1940
Soldat (Hirschberg, Hagenau, Lauban, am norwegischen Romsdalsfjord, Ratzeburg, bei Vechta). Letzter Dienstgrad: Unteroffizier. Schmidts Frau flüchtet im - Februar 1945
nach Quedlinburg zu ihrer Schwiegermutter. Das meiste Hab und Gut geht in Schlesien verloren. Ab - April 1945
engl. Kriegsgefangenschaft (u.a. in einem Lager bei Brüssel); Ende Dezember Entlassung nach Cordingen. Entbehrungsreiche Nachkriegsjahre; - 1946
schickt die Schwester Lebensmittelpakete nach Cordingen, wo Schmidt mit seiner Frau in engen Verhältnissen auf dem Mühlenhof wohnt; beide arbeiten als Dolmetscher an der Deutschen Hilfspolizeischule Benefeld. - 1947
Im Dezember faßt Arno Schmidt den Entschluß, künftig als freier Schriftsteller zu arbeiten. - 1948
Abschluß der Logarithmentafel-Berechnungen; Angebote an verschiedene Fachverlage (auch im Ausland), diese Tafel zu publizieren, werden abgelehnt. - 1949
Schmidt, der mit seiner Frau auf dem Tandem nach Hamburg fährt, trifft dort Ernst Rowohlt, in dessen Verlag dann die Erstveröffentlichung »Leviathan« erscheint; dies Debütwerk wird vom Lesepublikum – im Gegensatz zur Kritik – kaum zur Kenntnis genommen.
1950–1959
- 1950
Zuerkennung des Großen Literaturpreises der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz (gemeinsam mit vier weiteren Preisträgern); die Auszeichnung wird im Januar - 1951
von Alfred Döblin überreicht. - 1952
Beginn einer (auch für Schmidts finanzielle Situation) wichtigen Bekanntschaft mit Alfred Andersch, der ihn anregt, literaturhistorische Rundfunk-Essays zu verfassen. – Die erste von etwa 20 Übertragungen aus dem Englischen erscheint. - 1953
Schmidt wird – bis 1957 – Mitglied in der von seinem Freund Eberhard Schlotter geleiteten Darmstädter Sezession. - 1955
Strafanzeige gegen Schmidt und Andersch; das Untersuchungsverfahren (Vorwurf der Gotteslästerung und Pornographie in »Seelandschaft mit Pocahontas«) wird - 1956
eingestellt. Über Ernst Krawehl erste Verbindung zu Schmidts langjährigem Hausverlag Stahlberg (der später von S. Fischer übernommen wurde); Umzug nach Darmstadt; der erste Funkessay wird gesendet (ca. zwei Dutzend folgen in den nächsten Jahren). - 1956
Schmidts einzige öffentliche Lesung: in Schönberg/Taunus bei seinem langjährigen Freund Wilhelm Michels, den er 1953 kennenlernte. erster publizistischer Höhepunkt um Arno Schmidt mit der Veröffentlichung des (aufgrund der Pocahontas-Erfahrungen) selbstzensierten Buches »Das steinerne Herz«. - 1958
Erwerb des kleinen Haus Nr. 37 samt Grundstück am Rande des Heidedorfes Bargfeld/Celle; Schmidt lebt dort, abgesehen von wenigen Exkursionen, völlig zurückgezogen über 20 Jahre lang bis zum Tode. Es erscheint die materialreiche Biographie »Fouqué und einige seiner Zeitgenossen«, an der Schmidt rund 25 Jahre gearbeitet hat und die er nach dem Kriege großenteils neu beginnen mußte. Seine Fouqué-Dokumente hatte er bereits 1955 an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach verkauft.
Beginn der Bekanntschaft mit dem jungen Schriftsteller Hans Wollschläger
1960–1969
- 1963
Schmidts Literatur-Essay über Karl May »Sitara und der Weg dorthin« größeres Aufsehen Beginn des Poe-Übersetzungsprojektes (bis 1973) und der Materialsammlung zu »Zettel’s Traum«. - 1964
Schmidt wird in Berlin mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet; die Laudatio hält Günter Grass. - 1965
Schmidt erhält in Fulda die Ehrengabe für Literatur des Kulturkreises im Bundesverband der deutschen Industrie. Erweiterung des Wohngrundstücks und Kauf des »Schauerfelds« (von W. Michels), eines ca. 10×500 Meter großen verwilderten Flurstücks nordöstlich von Bargfeld. Schmidts Absicht, dort zurückgezogen in einer Hütte völlig ungestört zu arbeiten, wird nicht ausgeführt. In den
60er und 70er Jahren entstehen – neben umfangreichen Übersetzungen aus dem Englischen – unter zunehmendem Medienrummel drei große Typoskripte. Schmidt unternimmt mehrere Studienfahrten, auf denen er u. a. Material für weitere Arbeiten sammelt.
1970-1979
- 1970
Schmidts Opus magnum »Zettel’s Traum« erscheint. Das Buch umfaßt 1334 faksimilierte
Typoskript-Blätter im DIN-A3-Format. Urheberrechts-Affäre um einen Berliner Raubdruck dieses Werkes (Anzeige gegen Unbekannt). - 1972
Arno Schmidt erleidet einen Herzanfall, der ihn für Monate arbeitsunfähig macht; zunehmendes Herzleiden bis zum Lebensende. Es erscheint »Die Schule der Atheisten« (unter Verwendung von Ideen Jules Vernes, den Schmidt schon als Kind gelesen hatte). - 1973
Schmidt erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main; Alice Schmidt nimmt den Preis stellvertretend entgegen und verliest die später kontrovers diskutierte Dank-Adresse ihres Mannes. Tod der Mutter am 17. Oktober in Quedlinburg. - 1975
»Abend mit Goldrand«: das letzte vollendete Werk. - 1977
Beginn der Bekanntschaft mit Jan Philipp Reemtsma, der Schmidt finanziell unterstützt; Baubeginn eines feuersicheren Archivs eingedenk der Wald- und Heide-Brände im Sommer - 1975
als ein Teil von Schmidts Manuskripten und Büchern ausgelagert wurde. Wenige Wochen vor ihrem Tod in New York gibt Schmidts Schwester Luzie ein längeres Interview im Zusammenhang mit dem geplanten Biographie-Projekt »Porträt einer Klasse«. - 1979
Verschlechterung des Gesundheitszustandes; Beginn der Niederschrift des letzten, unvollendeten gebliebenen Werks »Julia oder die Gemälde« Während der Arbeit am Manuskript der »Julia« erleidet Arno Schmidt am 31. Mai 1979 einen Gehirnschlag und stirbt an dessen Folgen im Krankenhaus in Celle am 3. Juni 1979 Urnen-Beisetzung auf dem Bargfelder Grundstück unter einem Findling; dort ist auch die letzte Ruhestätte von Alice Schmidt (verstorben am 1. 8. 1983).