Tagungsbericht Görlitz

Den Tagungsbericht schrieb Iannis Goerlandt, Gent.

Freitag, 30. September 2005

Vor dem eigentlichen Tagungsbeginn gab es die Gelegenheit, sich inmitten der Bücherpracht des historischen Bibliothekssaals der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften von der Anreise zu erholen. Bibliotheksdirektor Matthias Wenzel skizzierte die Geschichte dieser Bücherkathedrale, und scheute auch einige Schmidt-Referenzen nicht.
Zur Eröffnung der Tagung begrüßte der Görlitzer Kulturbürgermeister, Ulf Großmann, die Tagungsteilnehmer in seiner Stadt. Thema der Begrüßungsworte war die Bewerbung von Görlitz und ihrer polnischen Schwesterstadt Zgorzelec für den Titel von europäischer Kulturhauptstadt 2010, und Arno Schmidts Bedeutung für das kulturelle Leben Görlitz’. Anschließend fand die Mitgliederversammlung statt.

Kurt Jauslin (Vortrag verlesen von Klaus Legl)

Der Schlüssel im Haarnest

Kurt Jauslin war leider erkrankt, doch eine Kopie seines Vortrags hatte zum Glück Frank Legl rechtzeitig erreicht, und er übernahm den Eröffnungsvortrag. Jauslin ging auf die wundersame Wortmagie der Stürenburg-Geschichten ein, in denen die Wörter nicht immer bedeuten, was sie zu bedeuten scheinen. Anhand von einigen Beispielen, u. a. den Besonderheiten des Zigarette- und Zigarrenrauchens und den in die Irre führenden botanischen Namen, zeigte Jauslin, wie Detailketten die Geschichten von innen heraus destabilisieren können.

Samstag, 1. Oktober 2005

Iannis Goerlandt

Die ›Corpi Juri‹ in »Kaff auch Mare Crisium«
Iannis Goerlandt widmete sich der Isotopie des Rechts in »Kaff auch Mare Crisium«. Nach einer Analyse des politischen und parodistischen Werts der in der Mondfiktion genannten Rechtstexte und ihrer Geschichte ging Goerlandt auf die Verzahnungen mit der Handlung in der Giffendorfer Realität ein. Dort wird das Recht nicht nur als politisches Instrument benutzt, sondern das Abgrenzen von Jurisdiktionen wird auch als spielerisches Mittel im Kampf der Geschlechter eingesetzt. Außerdem färben die Bezugnahmen auf das Recht auf die literarische Struktur ab, wie aus der dem Roman vorangestellten Notiz hervorgeht.

Bernd Rauschenbach

Löffel und Gespenster

Bedeutungsschwangere doch hermetische Stellen in »Aus dem Leben eines Fauns« und »Die Abenteuer der Sylvesternacht« bildeten das Thema von Bernd Rauschenbachs Vortrag »Löffel und Gespenster«. Anhand von motivischen Zitatclusters exemplifizierte Rauschenbach wie die Kriegserinnerung in den Erzählungen sowohl anwesend als auch ausgeblendet ist, und wie Schmidt bewusst Leerstellen in seine Texte eingebaut hat, an denen eine sinnstiftende Lektüre scheitern muss.

Guido Erol Öztanil

Erste Bilder-Liebe. Anmerkungen zu einem ›Filmsternchen‹ in Arno Schmidts »Julia«

Guido Erol Öztanil kontextualisierte die Namensnennung des Filmsternchens Lya Mara in »Julia, oder die Gemälde«. Das reichlich vorhandene Fotomaterial und ein Filmausschnitt erlaubten eine Visualisierung der ersten, heutzutage nahezu vollständig vergessenen »Bilder-Liebe« Schmidts, ein in seinen Werken oft genanntes Motiv.

Friedhelm Rathjen

Kolderup auf Fanø. Topographische Untersuchungen zu Schmidts »Schule der Atheisten«

Friedhelm Rathjens Diavortrag setzte sich zum Ziel, den Ausflug nach Fanø in »Die Schule der Atheisten« nicht nur zu bebildern, sondern kritisch nachzuprüfen. Die Topographie der während der Reise genannten Orte und der Insel Fanø weist mehrfach Brüchigkeiten auf und enthält Überblendungen, welche den Schauplatz weitgehend literarisieren. Rathjen stellte dar, wie auch die Angaben zur Topographie zum Verwirrspiel von ›Wahrheit‹ und Illusion gezählt werden können.

* * *

Am Nachmittag gab es die Gelegenheit, Arno Schmidts Görlitz besser kennen zu lernen. Alexander Jerofsky und Wolf-Dieter Krüger führten die Tagungsteilnehmer zu verschiedenen Schmidt-Orten, unter anderem zur ehemaligen Schule Hanne Wolffs, zur bekannten Treppe am Südausgang des Görlitzer Bahnhofs, wo sich Schmidt und Heinz Jerofsky nach Schulzeit immer unterhielten, und zu Schmidts ehemaliger Schule.

Dort übernahm Frau Schiefer, Direktorin der Schule, die Führung.

Anschließend hielt Rudi Schweikert in der Aula einen kurzen Vortrag über Arno Schmidts Schulzeit, über seine Klassenkameraden und über einige seiner Lehrer (»Arno Schmidts Lieblingslehrer – ›ein persönlicher Lieblingsschüler Einsteins‹?«).

Sonntag, 2. Oktober 2005

Am regnerischen Sonntag war eine Autobusfahrt nach Polen geplant. Erster Halt war Lauban, wo Wolf-Dieter Krüger die Teilnehmer durch die Stadt führte, unter anderem zum Stadtwall und zum Laubaner Bahnhof.

Danach begrüßte Konrad Rowinski, der Laubaner Bürgermeister, die durchnässten Teilnehmer herzlich in seiner Stadt und gewährte ihnen nicht nur mit Kaffee und Tee Gastfreundschaft. Rowinski erzählte über die Geschichte Laubans, und sprach von der Bedeutung Arno Schmidts für das kulturelle Leben. Dolmetscherin war Anna Pzytulska.

Im Laubaner Konferenzsaal wurde anschließend der letzte Vortrag des wissenschaftlichen Programms gehalten. Peter Sinram sprach über »Arno Schmidt und die Nähe zu Polen«, und kommentierte die Ambivalenzen in Schmidts Polenbild. Auch gab es die Gelegenheit, das Laubaner ›Arno-Schmidt-Zimmer‹ zu besuchen.
Nachdem die Teilnehmer sich an der leckeren polnischen Küche gelabt hatten, ging es schließlich nach Greiffenberg, wo Wolf-Dieter Krüger die Tagungsteilnehmer zu Schmidts Miethaus und den Greiff-Werken führte.

Ein Abendessen am Ufer der Neiße schloss die Tagung ab.