Tagungsbericht Ahlden

Freitag, 1. Oktober 2004
Dank der hervorragenden Organisation vor Ort stellte die Anreise und Unterbringung die rund 100 (!) Tagungsteilnehmer vor keine Probleme, so dass die Tagung am Freitagnachmittag mit der Mitgliederversammlung und einem musikalischen Unterhaltungsprogramm eröffnet werden konnte.Zum Auftakt der diesjährigen Jahrestagung war ein Konzert mit dem Duo Cantiga mit Nora Weinand (Gesang) und Angela Öztanil (Gitarre) zu hören. Im Mittelpunkt des Interesses stand die Uraufführung der für diesen Anlass in Auftrag gegebenen Komposition von Burkhard Egdorf (1954*) mit dem Titel »›Und dann sitz ich da‹ – mit Arno Schmidt an Aller und Leine.« Im Anschluss standen spanische und südamerikanische Kompositionen u.a. von de Falla, Granados und Sor auf dem Programm.
Die Schmidt-Komposition wird 2005 zeitgleich mit dem GASL-Jahrbuch auf CD erscheinen.Samstag, 2. Oktober 2004  
Jan Süselbeck »Spellbound«. Arno Schmidts Blick auf die DDR
Jan Süselbeck eröffnete die Vortragsreihe mit »›Spellbound‹. Arno Schmidts Blick auf die DDR«. Süselbeck betonte nicht nur die seit 1989 wachsende Aktualität der unzeitgemäßen Betrachtungen Schmidts zur DDR, sondern wies nach, dass auch der Roman »Das steinerne Herz« mit der spezifisch deutschen Geschichte kontaminiert ist. Der mit einem »Heil Hitler!« eingeleitete Goldfund im doppelten Dachboden schließt den Romantext mit dem Holocaust und damit mit den geschichtlichen Ursachen für die Teilung Deutschlands kurz.
Wolf-Dieter Krüger  Arno Schmidt und die Logarithmen oder Dichter aus Verlegenheit
Wolf-Dieter Krüger widmete sich im Anschluss der intensiven mathematischen Beschäftigung Arno Schmidts. Krüger folgte den zahlreichen Spuren der sich über lange Jahre hinziehenden Arbeit Schmidts an einer Logarithmen-Tafel und wies darauf hin, dass Schmidt, was ja nicht selbstverständlich ist, über ein hohes Maß an mathematischem Verständnis verfügte und während der Arbeit an seiner Tafel auch zu neuen, beeindruckenden mathematischen Verfahren gelangte. Krügers These: Arno Schmidt war ein Mathematiker hohen Ranges, der jedoch Schriftsteller / Dichter werden »musste«, weil die von ihm entworfene Logarithmentafel, die er Ende 1947 vier Verlagen angeboten hatte, aus mehreren Gründen nicht gedruckt werden konnte.   
Bernd Rauschenbach »Ein Tablett voll glitzernder snapshots«. Vorbemerkungen zu einer Arno-Schmidt-Biographie
Bernd Rauschenbach gab in seinem Vortrag einen Einblick in die Werkstatt des Schmidt-Biographen und berichtete von den zahlreichen Problemen, mit denen sich der Biograph bei seiner Arbeit konfrontiert sieht, wenn selbst scheinbar objektive Zahlen, Daten und Fakten bei näherem Hinsehen verschwimmen und uneindeutig werden. Rauschenbach verfolgt einen polyperspektivischen Ansatz und geht den verschiedenen Schmidt-Imagos nach. Sein Vortrag machte Lust auf sehr viel mehr, leider wird sich die Arbeit noch mehrere Jahre hinziehen.
Susanne Fischer  »Trage du à tempo dein Tagebuch ein!« Zu den Aufzeichnungen Alice Schmidts und ihrer Edition
Susanne Fischer stellte den von ihr edierten Tagebuchband 1954 von Alice Schmidt vor und beschäftigte sich mit der Frage, ob und wenn ja, in welcher Weise, die Kenntnis der Tagebucheinträge seiner Frau zum Verständnis der Werke Arno Schmidts beiträgt. Dabei sollten die Schwierigkeiten beim Edieren und Lesen privater Notizen nicht unterschätzt werden. Ihre Lektüre liefert zwar umfangreiche Hintergrundinformationen, versetzt den Leser allerdings auch in die Situation, sehr vieles zu erfahren, was er wohl gar nicht wissen wollte. * * *Am Nachmittag bot das Rahmenprogramm verschiedene Aktivitäten zur Auswahl. Horst Leisering führte die Interessierten auf den Spuren des »Steinernen Herz« durch Ahlden, Rainer Hendricks erläuterte auf einem historischen Rundgang die Geschichte es Ortes, für Urlaubsstimmung sorgten zwei Kutschfahrten. Mit Kaffe und »Hedewichs« wurde dem »Steinernen Herz« abschließend Referenz erwiesen.
»‹Hedewichs› sind ein rundes ahldener Gebäck; Spezialmilchteig mit Rosinen«
BA I/2, 34Das Abendprogramm bot einen Vortrag von Guido Erol Öztanil zur nicht ganz unkomplizierten Entstehung von Wilhelm Michels’ Dokumentarausgabe des »Steinernen Herz«. Im Anschluss wurde das Sophie-Dorothea-Motiv des Romans in einer filmischen Variante präsentiert. Gezeigt wurde der Spielfilm »Königsliebe« (»Saraband for Dead Lovers«, USA 1948) von Basil Dearden mit Stewart Granger als Philip Königsmark und Joan Greenwood als Sophie Dorothea.Sonntag, 3. Oktober 2004  
Friedhelm Rathjen Mit Blake und Borrow von Bargfeld nach Blickwedel. Zum Zitatismus in Arno Schmidts »Wasserstraße«
Friedhelm Rathjen machte sich mit seinem Vortrag an die Rekonstruktion der Konstruktion der »Wasserstraße« und las Schmidts Text so, wie dieser Poe und May las. Rathjen konnte zahlreiche Zitate von Blake und Borrow im Text nachweisen und versuchte den Blick durch den Text auf die Zettelkästen und den Schreibprozess des Autors.
Guido Erol Öztanil  Der »Schwellenreißer« in der Wochenschau von 1944. Ein kinematographischer Beitrag zu Arno Schmidts »Leviathan«
Mit einer veritablen Sensation konnte Guido Erol Öztanil aufwarten. Er wies nach, dass die vom Ich-Erzähler im »Leviathan« erwähnte Wochenschau mit dem Bericht über den »Schwellenreißer« (BA I/1, 38) tatsächlich existierte und der Begriff nicht, wie bislang vermutet, von Schmidt geprägt, sondern vom Kommentator dieser Wochenschau benutzt wurde. Dabei ist die »Schwellenreißer«-Passage im Film gerade mal 9 Sekunden lang und nur ein – von der Bildwirkung her – harmloser Auftakt zu einer mehrminütigen detaillierten Zerstörungsorgie. Es ist erstaunlich, dass sich dem Ich-Erzähler ausgerechnet die kurze »Schwellenreißer«-Episode eingeprägt hat und er kein Wort über die sich anschließenden, fürchterlichen Kriegsaufnahmen verliert.  
Josef Huerkamp [Zur Figur der Line Hübner]
Den Abschluss der Tagung bildete ein Vortrag von Josef Huerkamp. Abweichend von der Programm-Ankündigung, beschäftigte sich Huerkamp ausführlich mit der Figurenzeichnung der Line Hübner in »Das steinerne Herz«. Er konnte unzählige Querverweise, Zitate und Bezüge auf andere Werke Arno Schmidts herausarbeiten, so dass die Figur nicht als eine in sich gegründete und abgeschlossene Person erscheint, sondern als Brennpunkt und vielfach im Gesamtwerk verwurzeltes Zitatenbündel.Literatur und Links
Die folgenden Quellen widmen sich dem Thema Ahlden und Arno Schmidt.
Ahlden-Seite von Rainer Hendricks. Hier finden sich zahlreiche Texte, Karten und Bilder zum Ort und zum Roman »Das steinerne Herz«.
Ahlden. Homepage der OrtschaftHistorischer Rundgang durch den Flecken Ahlden. Von Rainer Hendrick. Hg. v. Flecken Ahlden. 96 Seiten. Kartoniert. Format DIN A5. 103 Abbildungen, mit 2 Übersichtskarten. 5,00 €. – Informationen über Inhalt und Bezugsmöglichkeit des Buches finden Sie auf den Webseiten des Verfassers.