Tagungsbericht 2016

»Nach Mainz!« – Die 31. Jahrestagung 2016 der GASL

von Heinrich Wirtz

Ort: Erbacher Hof, das Tagungszentrum des Bistums Mainz. Eine Teilnehmerin der 31. Tagung der GASL stieg mit zwei Frauen – Teilnehmerinnen einer der parallel stattfindenden Veranstaltungen im Haus – in den Lift und konnte einen kurzen verwunderten Dialog mit anhören: A: »Ich hab gehört, es soll gerade auch eine Tagung zu dem Arno Schmidt, dem Schriftsteller, weißte, stattfinden?« B: »Ja, das ist doch der …« A: »Ja, ja … Na ja, na ja …«. Hier war die Liftfahrt für die Teilnehmerin zu Ende, und der Fortgang des Gespräches wird leider nicht mehr zu erfahren sein.
Die Jahrestagung der GASL fand unter der Überschrift »30 Jahre GASL« vom 21. bis 23. Oktober 2016 in Mainz statt. Die Wahl war auf die Stadt gefallen, weil Arno Schmidt hier am 14. Januar 1951 den Literaturpreis der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur erhalten hatte. (Das Gebäude, in dem damals die Akademie untergebracht gewesen war, wird heute anderweitig genutzt; eine Besichtigung der Räumlichkeiten war leider nicht möglich.) Das Haus des Bistums – eine location, die durchaus zu Arno Schmidt, der sich bekanntlich einmal als Küster in Lilienthal beworben hatte, passte. Unsere Veranstaltung dürfte nicht die merkwürdigste der im Erbacher Hof an diesem Wochenende stattgefundenen gewesen sein; dazu später mehr. Die renovierten Räume boten eine angenehme und ruhige Atmosphäre, funktionierende Technik und ein üppiges Angebot an Getränken, Kuchen und Keksen.

Wie üblich, begann die Tagung am Freitagnachmittag mit der Mitgliederversammlung. Im Augustinerkeller traf man sich danach zum gemeinsamen Abendessen.

Vor dem offiziellen Programmbeginn am Samstag um 9:00 Uhr hatte Dietmar Noering noch im nahe gelegenen Kirschgarten eine kleine Lesung aus Texten von Kathinka Zitz (bekannt aus Arno Schmidts Tina gelegt.

Zu den Vorträgen:
Dietmar Noering gab in »30 Jahre GASL« eine geraffte Geschichte der Gesellschaft, eingeleitet mit der Bemerkung, er schaue »zwischen Erschrecken und Amüsement« auf das Publikum, das getreulich mit ihm gealtert sei.

Rudi Schweikert sprach in »Text aus Texten« über den referentiellen Mikrokosmos der Schule der Atheisten. Bekannt ist, dass das Buch zu einem großen Teil aus Zitaten besteht, Schweikert hält einen Anteil von 90% für möglich. Er entwickelte eine Typologie der Ein-Wort-Zitate, Anverwandlungen, Anspielungen und anderer Kurzzitate, ein »Zitatplankton«, so kunstvoll dem Text einverleibt, dass die Fremdzitate nicht auffallen.

Ralf Simon referierte über »Gastlichkeit und Negativität«. Er identifizierte das Schema der Gastlichkeit als Basis der erzählerischen Konstruktion bei Schmidt, deren Gelingen er durch die »umfassende Negativität von Schmidts Anthropologie« dementiert sieht. Die These blieb nicht ohne Widerspruch. Man darf auf die ausführlichere schriftliche Fassung des Vortrags gespannt sein.
Karlheinz Müller stellte in »Nach Mainz!« den Tagungsort in der deutschen Literatur nach 1945 am Beispiel des gleichnamigen Gedichts und des Romans Landgericht von Ursula Krechel vor.

Am Nachmittag schloss sich eine zweieinhalbstündige sachkundige und engagierte Führung (einer gerade den Ulysses Lesenden) durch die Stadt mit den Stationen Isis-Tempel, Dom und Gutenbergmuseum an.
Ein bewährter Hermann Wiedenroth las am Abend aus Wielands Die Abderiten, danach Beschluss des Abends im Restaurant Heiliggeist.

Ulrich Klappstein trug unter dem Titel »#Konfuzius oder Kolderups Klugheit« Neues und Bekanntes zu Chinoiserien in der Schule der Atheisten vor. Die einzelnen Abschnitte des Vortrags wurden passend unterteilt durch den GONG! einer chinesischen Klangschale.

Armin Eidherr behandelte Schmidts Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in den antiken Erzählungen und setzte sich in einem kritisch-ironischen Gestus von den Ergebnissen der postcolonial studies ab.

Zwei junge Vortragende beendeten die Tagung: René Porschen spannte unter der Überschrift »Postapokalyptische Naturidylle? – Feldversuche einer eutopischen Genesis« den Bogen von den »liquiden Leviathansräumen« zu Schmidts »künstlichen Inselwelten«.

Der US-Amerikaner Alexander John Holt beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den unterschiedlichsten (historischen und literarischen) »Grenzen«, die sich im Hominidenstreifen der Gelehrtenrepublik überlagern.

Ach ja, apropos Veranstaltungen im Erbacher Hof: Im Seminarraum nebenan tagte eine Gruppe zum Thema »Kinder kriegen und andere Kulturen des Weitergebens«. Wir wissen, wie das Ehepaar Schmidt sich entschieden hatte.