Das Orkantief »Friederike« brachte am 18.01. den Winter in die Hansestadt. Es fielen seit dem Morgen in kurzer Zeit zehn Zentimeter Schnee.
Trotzdem versammelten sich wieder um 11 Uhr am bekannten Treffpunkt Rumpffsweg 27 / Ecke Dobbelersweg viele Literaturfreunde, um ihres Arno Schmidt und seines 104. Geburtstages zu gedenken. Der Einladung von Wolfgang Zimmermann vom Stadtteilarchiv Hamm waren rund fünfundzwanzig Personen gefolgt, darunter erneut eine Schülergruppe von achtzehn Schülerinnen und Schülern der ›Stadtteilschule Niendorf‹ mit ihrem Lehrer.
»Im Winter, wenn’s Schnee gab, (nicht die Regel in Hamburg !), fuhren Wir auch, mit unsern kleinen Schlitt’n (oder auf Brettern), die Böschungen mit Geschrei hinunter: der Schwung trug manchmal wohl an die 15 Meter weit.« (Arno Schmidt, Porträt einer Klasse, S. 141)
Zum Schlittenfahren blieb keine Zeit, da Herr Zimmermann um kurz nach 11 Uhr alle Anwesenden begrüßte und über den Anlass des Zusammenkommens informierte. Er verlas einiges zu Geburt und Kindheit Schmidts in Hamburg-Hamm sowie über den weiteren Werdegang des Jubilars. Zur Einordnung von Arno Schmidts Werk schilderte Herr Zimmermann insbesondere die für Schmidt prägenden Ereignisse in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Schmidt sei Flüchtling (mit Ausweis A)
»Refugies; Umsiedler; Emigranten; oder wie die armen Teufel immer beschönigend benannt werden mögen.« (Arno Schmidt, Deutsches Elend, S. 23),
Nachkriegsautor und oppositioneller Schriftsteller gewesen. Er widersetzte sich der Eingliederung in das Gefüge der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur, schrieb gegen Faschismus und Militarismus und warnte vor der Atomkriegsgefahr. Im Zusammenhang mit der »Verteidigungs-Reaktion auf die Haltung verweigerter Einfühlung« (Geburtstags-Vortrag 2018, Wolfgang Zimmermann, Stadtteilarchiv Hamm) fiel noch das Stichwort »Körperpanzer« in Anspielung an Klaus Theweleits Buch Männerphantasien. Zum Ende des Vortrags ließ Herr Zimmermann Arno Schmidt den Umgang mit seiner Sozialisation aus Seelandschaft mit Pocahontas selbst beschreiben:
»: der Künstler hat nur die Wahl, ob er als Mensch existieren will oder als Werk; im zweiten Fall besieht man sich den defekten Rest besser nicht« (BA I/1, 395).
Sodann wurde zum traditionellen Toast wieder Schnaps ausgeschenkt.
»Da ging ich hinauf, und nahm vom (ärztlich verbotenen) Asbach; (verdünnt mit Korn).« (BA I/4, 85)
Nach Beantwortung einiger Nachfragen der Schülergruppe zur Geschichte des Geburtstagstreffens folgten dann alle (bis auf die Schülerinnen und Schüler, die zurück zum Unterricht fahren mussten) gern Wolfgang Zimmermanns Einladung ins Stadtteilarchiv Hamm zum Aufwärmen bei Tomatensuppe, Brot, Kaffee und anderen Getränken.
Nach dem Essen brachte Herr Zimmermann die Anwesenden zum Rechercheprojekt des Englischlehrers Dr. Ernst Foerster (siehe Geburtstagstreffen 2017) auf den neusten Stand. Das Projekt müsse erstmal ruhen, da das Staatsarchiv den Nachlass noch nicht freigegeben habe. Ein aktuelles Forschungsthema von Herrn Zimmermann sei das tschechische Theater »Divadlo Járy Cimrmana« (Theater von Jára Cimrman). In diesem Theater werden nur Stücke aufgeführt, die sich um die fiktive Gestalt eines Universalgenies namens Jára Cimrman drehen. Cimrman wurde dadurch zu einem »virtuellen« Nationalhelden, dessen ebenfalls virtuelle Existenz seit 1966 durch Berichte über fiktive Ereignisse aus seinem Leben immer weiterentwickelt wurde. Herr Zimmermann zeigte hier Parallelen zu Arno Schmidts »Schauerfeld-Narrativ« auf. Zum Schluss stellte Peter Walther noch seine Erzählung zu Arno Schmidt Der Herrgott beim Enzianwirt am Wilseder Berg (Privatdruck, Göttingen 2017, Auflage 2 × 42 Exemplare) vor.
Gegen 13 Uhr löste sich die Versammlung langsam auf, zuvor wies Herr Zimmermann aber noch auf den Stadtteilrundgang »Auf den Spuren Arno Schmidts in Unten-Hamm« am 03. Juni hin, zu dem er alle Anwesenden herzlich einlud.
Martin Möller